Premiere 18. November 2023, Theater Rijswijkse Schouwburg, Den Haag (NL)

Die Band Sunfire gibt es mittlerweile schon eine ganze Weile, genaugenommen seit 2017. Seine Ursprünge hat Sunfire in einem Solo-Projekt von Satria Karsono, der bis heute der Frontsänger und Texter der Band ist. Nachdem Satria sein erstes Solo-Album unter dem Künstlernamen „Sunfire“ aufgenommen hatte, fiel ihm auf, dass er zu viele Instrumente gleichzeitig gespielt hatte, um seine Musik ganz allein live präsentieren zu können. Um sich aus dieser misslichen Lage zu befreien, bat er zwei seiner Freunde, Michel Beeckman und Berend de Vries, ihn zu seiner Album Präsentation zu begleiten, von denen Letzterer bereits für das Abmischen des Albums verantwortlich gewesen war. Michel und Berend sagten zu und brachten ihre E-Gitarre und ihren E-Bass gleich mit – und so war Sunfire – die Band – geboren. Noch innerhalb des gleichen Jahres verwandelte die großartige Geigerin Sophie Zaaijer die Band von einem Trio in ein Quartett und fügte dem Klang weitere, kennzeichnende Akzente hinzu. Komplettiert wurde das heutige Quintett schließlich durch den äußerst dynamischen Schlagzeuger Jeroen van Leeuwen.

Seit jenen Anfängen hat Sunfire sich innerhalb der niederländischen Folk- und Fantasy-Szene den Ruf einer beim Publikum beliebten, energiegeladenen und mitreißenden Liveband aufgebaut. Auch über die Niederlande hinaus ist es ihnen gelungen die Zuschauer im Vereinigten Königreich, Belgien, Frankreich, der Schweiz und Deutschland zu begeistern, wie beispielsweise beim diesjährigen Festival Mediaval in Selb. Ihr Klang ist schwierig zu beschreiben. Es ist eine einzigartige Mischung aus Americana, Bluegrass, Country, Roots, Rock und Folk, den die Band selbst als „Western Folk“ bezeichnet. Letztendlich ist es aber auch nebensächlich, welchem Genre man ihre Musik zuordnet, denn gerade diese Unmöglichkeit ihre Musik in irgendwelche Schubladen einzuordnen, macht sie besonders. Der Klang von Sunfire ist in der Tat so einzigartig, dass ich überzeugt bin, dass den allermeisten Leuten ein kurzer Ausschnitt eines ihrer neuen Lieder genügen würde, um es eindeutig als ihr Werk identifizieren zu können. Ihr einzigartiger Klang und ihre energiegeladenen Liveauftritte sind unter ihrer regelmäßigen Zuhörerschaft mittlerweile so bekannt, dass einer meiner CeltCast Kollegen sich, mit dem Gedanken an eine bestuhlte Theater-Show konfrontiert, zu folgendem O-Ton hinreißen ließ: „a seated sunfire show? I would destroy my chair probably“ (eine bestuhlte Sunfire Show? Ich würde vermutlich meinen Stuhl zerstören).

Diese Äußerung meines Kollegen trifft vermutlich den Kern dessen, worin der Lackmus Test für Sunfire’s Theater Show „Tales of the Old West“ besteht. Sunfire’s Auftritte sind großartig auf Festivals und in Klubs, aber die entscheidende Frage ist: funktioniert ihre Show auch im Kontext eines bestuhlten Theaters?

Ich will es nicht zu spannend machen… Ja, die Show funktioniert, sie funktioniert sogar großartig, auch innerhalb eines bestuhlten Theaters. Falls ihr also keine Lust haben solltet, weiterzulesen, nehmt euch direkt den Tour-Plan von „Tales of the Old West” (en) vor (sie kommen ein Paar mal sogar in die Nähe der deutschen Grenze, z. B. Uden, Steenwijk, Oldenzaal und Valkenwaard) und besorgt euch Karten für die Show. Falls ihr doch noch Zweifel haben solltet oder es euch einfach interessiert, wie ich zu meinem Urteil gelangt bin, lest gerne weiter und verschiebt das Bestellen der Tickets einfach auf später (oder schaut euch schonmal den Teaser an) … seid versichert, ich werde euch daran erinnern 😉.

Nun da das geklärt wäre, lasst mich näher darauf eingehen, warum ihr diese Show auf keinen Fall verpassen solltet und wie Sunfire es geschafft hat ihr Werk für den ja doch sehr anderen Theaterkontext passend aufzuziehen.

Wenn ihr mich fragt, bestand der erste Geniestreich in ihrer Planung darin, einen Erzähler zu engagieren und nicht nur irgendeinen Erzähler, sondern genau diesen Erzähler, Tycho Francis alias „Jebediah Wallace Dumont“. Die von ihm gesprochenen, kurzen Vorstellungen der einzelnen Charaktere, die im Vorhinein in den Sozialen Medien gepostet worden waren, hatten bereits meine Neugierde geweckt, aber ihn dann live in Aktion zu sehen, war trotzdem noch besser als ich es erwartet hatte. In dem Moment als „Jebediah Wallace Dumont“ mit seinem Gehstock die Bühne betrat und neben seinem Rednerpult zum Stehen kam, während der Rest der Bühne in komplette Dunkelheit gehüllt war (übrigens auch eine super Arbeit der Lichttechnik, nicht nur an dieser Stelle), hatte er die volle Aufmerksamkeit des Publikums, alle Augen und Ohren waren auf ihn und seine Stimme gerichtet. Als er dann begann „Sinner’s Town“ (Stadt der Sünder) und dessen Bewohner (nämlich Satria Karsono alias „Billy Tanner“, Sophie Zaaijer alias „Madam Sawyer“, Berend de Fries alias „Deputy Frost“, Michel Beeckman alias „Henry River“ und Jeroen van Leeuwen alias „Cole Burner“) mit seiner tiefen, ruhigen und sonoren Stimmen und einem erstaunlich authentischen, amerikanischen Akzent vorzustellen, hatte ich sofort das Gefühl in diese, im Wilden Westen angesiedelte, erdachte Stadt transportiert worden zu sein und unter anderem dank „Jebediah’s“ steter Rückkehr auf die Bühne, bin ich bis zum Ende der Show an diesem imaginären Ort verblieben.

Diese Illusion einer Reise durch Zeit und Raum wurde nicht nur durch eine gut durchdachte Kostümgestaltung und die konsequente Nutzung der englischen Sprache unterstützt (es war tatsächlich kein einziges niederländisches Wort zu hören, das den Tagtraum hätte zerstören können – was bei Sunfire Auftritten mittlerweile jedoch nichts Außergewöhnliches mehr darstellt), sondern auch durch den extra für die Theater-Show kreierten Backdrop, der vermutlich (wie die meisten Sunfire-Graphiken) von Satria selbst designt worden war, durch die Requisiten auf und über der Bühne, durch großartige Beleuchtung, die dafür gesorgt hat, dass jegliche Veränderung des Bühnenbilds (sofern gewollt) abseits der Aufmerksamkeit des Publikums geschehen konnte, durch vorab aufgenommene, atmosphärische Hintergrundgeräusche, die diejenigen unter uns, die noch etwas unerfahren in der Kunst des Zeitreisens waren, darin unterstützten erfolgreich den Weg Richtung Saloon oder Prärie des Wilden Westens zu finden und zu guter Letzt durch das erstaunliche schauspielerische Talent der Bandmitglieder, die die vielschichtigen Möglichkeiten einer Theaterbühne gut einzusetzen wussten.

Nun lasst uns etwas tiefer in die Welt und den Ort eintauchen, in die/zu dem uns Sunfire mitgenommen hat. Dieser Ort, „“Sinner’s Town“, ist für jene, die Sunfire in den letzten Jahren beobachtet haben, kein unbekannter Ort, denn wie mein CeltCast Teamkollege Cliff de Booy in seiner Rezension des neuen Sunfire Albums „The Devil’s Drink“ (das nebenbei bemerkt einen Tag vor der offiziellen Theaterpremiere digital und am Tag der Premiere physisch herausgebracht wurde – hört mal rein, wenn ihr es noch nicht getan habt, oder lest Cliffs review (en)!) „[w]e have come to know main lyricist Satria Karsono as a true storyteller” (wir haben den Haupttexter Satria Karsono als einen echten Geschichtenerzähler kennengelernt). Aber was für eine Art von Geschichten meint Cliff? Was für eine Art von Geschichte erzählen Satria und der Rest der Band? Falls du auf einen klassischen Western, auf eine klassische Cowboy Geschichte gehofft hattest, die von einigen mutigen Helden erzählt, die mithilfe ihrer Waffen und Reittiere den Wilden Westen beherrschen, dann ist „Tales of the Old West“ vermutlich nicht nach deinem Geschmack. Solltest du allerdings Faszination für eine weniger romantisierte (wenn auch genauso fiktionale) Version des Alten Westen mitbringen, die die Entbehrungen, moralischen Dilemmata und im Allgemeinen die zeitlosen Dramen der menschlichen Existenz, mit denen sich die Bewohner von Sinner’s Town konfrontiert sahen, adressiert, die die gesamte Bandbreite von bodenlosem Elend über Verzweiflung und Tod bis zu einem Zustand der unbändigen Freude und Ekstase abdeckt, dann musst du Sunfire unbedingt dabei beiwohnen, wenn sie diese Geschichten des Alten Westens auf der Bühne erzählen und darstellen.

Foto: Jean Paul Karting

Nach den einführenden Worten des Erzählers begann „Tales of the Old West“ mit einem Knall, ähm, mit einem „Shot“ (Schuss) und die Show endete mit einer ähnlich schnellen, rockigen Mitsingnummer (wovon das Publikum reichlich Gebrauch machte) namens „Soul“. Doch zwischen diesen beiden Powerliedern, stellte die Show eine Achterbahn der Gefühle dar, bei der man bei humorvollen Texten, wie dem von „Jolene“, lachen mussten, nur um kurze Zeit später bei Liedern wie „Ballad of River“ (River’s Ballade) den Tränen nahe zu sein. Die Band überraschte uns immer wieder, beispielsweise, als sie uns plötzlich (zurück) in die Sonntagsschule schickte, als ein arbeitsloser Schlagzeuger die Gelegenheit beim Schopfe fasste und uns seine vielen weiteren Talente präsentierte oder als „Billy Tanner“ uns an seiner Verzweiflung darüber teilhaben ließ, dass sein Pferd von jetzt auf gleich verschwunden war. Wir erlebten mehr als einen Moment der Ungewissheit bezüglich der Frage, ob die Show weitergehen würde, zum Beispiel als die gesamte Besetzung plötzlich tot umfiel, kurz davor war dem Galgen zum Opfer zu fallen oder als der Leadsänger zu betrunken zu sein schien, um mit der Show weiterzumachen – hatte er womöglich einen Schluck zu viel vom „Devil’s Drink“ (Des Teufels Trank) genommen, wodurch es ihm unmöglich geworden war von der Flasche abzulassen („Leave the Bottle“)? Doch letztendlich muss die Show immer weitergehen (the show must go on) und das tat sie auch … und wie sie das tat!

Satria gelang es nicht nur einen betrunkenen Sänger bis an den Rand der Perfektion zu imitieren, sondern er wirkte an diesem Abend insgesamt so, als wenn er sein gesamtes Herzblut in jede einzelne Note hineingeben würde, von Powergesang zu emotionalem Wrack, von betrunken bis nüchtern, von tiefen bis zu hohen Tönen, von wirklichem Singen bis zu einer Art Sprechgesang, was auch immer das Lied verlangte, er gab ihm mit seiner Stimme genau das richtige Gefühl. Das Gleiche gilt für den Rest der Band. Der Klang war sehr gut abgemischt und das Zusammenspiel der Instrumente klang harmonisch. Jedes der Bandmitglieder trat von Zeit zur Zeit mal in den Hintergrund, um dem/der jeweiligen anderen die Chance zu geben, sich hervorzutun, ob es sich nun um ein Instrument handelte, das wie Sophies Geige, Berends E-Gitarre oder Satrias Banjo/akustische Gitarre typischerweise als für Soli vorherbestimmt angesehen wird oder um eines, das diese Rolle eher selten übernimmt, wie Jeroens Schlagzeug oder Michels E-Bass. Die jeweiligen Solisten nutzten diese Chancen nicht nur um zu glänzen, sondern, um im übertragenen Sinne den ganzen Theatersaal durch ihre Soli in glänzendem Licht erstrahlen zu lassen. Tatsächlich war der Walzer, der fast komplett durch Michels Bass getragen und vorangetrieben wurde, während der Rest der Band am Schunkeln und Tanzen war, eines meiner persönlichen Höhepunkte der Show.

Darüber hinaus war die beschriebene Harmonie nicht auf den Klang begrenzt. Diejenigen unter euch, die Sunfire schon einmal live erlebt haben, werden wissen, was ich meine, wenn ich sage, dass es eine wahre Augenweide war, den Bandmitgliedern bei ihrem Zusammenspiel auf der Bühne zuzusehen. Für mich gibt es für dieses Ausmaß an positiver Interaktion zwischen den Bandmitgliedern nur zwei mögliche Erklärungen: entweder sie sind noch bessere Schauspieler als wir dachten und werden bald von Hollywood entdeckt und engagiert, sodass wir künftig auf Sunfire’s Musik verzichten müssen oder aber sie sind nicht nur ein zufällig zusammengewürfelter Haufen an Musikern, der es zur Aufgabe hat eine großartige Show auf die Bühne zu bringen, sondern eine Gruppe von Freunden, die einen Mordsspaß hat, während sie ihren Lebensunterhalt verdient. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich hoffe, dass die zweite Erklärung die zutreffende ist, und ich bin mir fast sicher, dass es so ist.

Dieser positive Eindruck von den Musikern auf menschlicher Ebene wird durch ihr wertschätzendes und respektvolles Verhalten, sowohl auf der Bühne als auch fernab der Bühne, komplettiert. Die Bandmitglieder sind nicht müde geworden zu betonen, (ob vor der Show in den Sozialen Medien oder während der Show auf der Bühne), dass diese Show nicht allein ihr Werk ist, sondern das von insgesamt elf Personen, angefangen mit dem Erzähler über die Licht- und Tontechniker, den Bühnenhelfer, bis zur Künstleragentin und der Merchandiserin. Dies wird weiter durch die Anwesenheit vieler Kunstschaffender und anderweitig in der Folk- und Fantasy-Szene aktiver Personen an diesem Abend unterstrichen und durch die gemütliche Atmosphäre nach der Show abgerundet, als ein merklicher Teil der Publikums noch eine Weile dablieb, um Autogramme oder Fotos zu erbitten, einander zu umarmen oder einfach miteinander oder mit den Bandmitgliedern einen Plausch abzuhalten, in dem sie beispielsweise den Bandmitgliedern so etwas sagten wie „put this show on tape (eh, DVD) right away, capture this masterwork, so it will be there for people to enjoy after the show is over“ (nehmt diese Show sofort auf Band (äh, auf DVD) auf, sichert dieses Meisterwerk, damit es Leuten noch Freude bereiten kann, nachdem die Show vorbei ist).

Zusammenfassend kann man sagen, dass „Tales of the Old West“ von Sunfire nicht nur ein Konzert ist, das man auf eine Theaterbühne transferiert hat, sondern, dass es viel mehr als das ist … es ist eine eigenständige Theaterproduktion, die die Stärken der Band Sunfire aufrechterhält, aber gleichzeitig ganz neue Sphären erreicht, wenn es darum geht, das Publikum auf eine Reise durch Raum und Zeit mitzunehmen. Auf diese Art erweckt „Tales of the Old West“ Sunfire’s Version des „Old West“ durch ihre Geschichten aus „Sinner’s Town“ zum Leben. Nun bleibt mir abschließend nur noch zu sagen: Vergesst nicht euch euer Ticket zu sichern, nachdem ihr das vorhin aufgeschoben hattet, um weiterlesen zu können und vielleicht sehen wir uns bald bei einem der nächsten Shows, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass ich noch mindestens einmal in die Niederlande reisen werde (aus Deutschland), um Sunfire auf ihrer Reise in Richtung des noch viel weiter entfernten Old West zu begleiten.

– Germaine

P.S.: Zur Erinnerung – hier ist nochmal der Link zum Tour-Plan von “Tales of the Old West” (en)! Und, um es abzurunden, der offizielle Teaser der Show:

Außerdem könnt ihr Sunfire hier finden: